Singen – die Sprachschule des Glaubens

Singen – die Sprachschule des Glaubens

Das Gesangbuch der Evangelisch-methodistischen Kirche ist in den Gemeinden der Evangelisch-methodistischen Kirche (EmK) seit 2002 im Gebrauch. Es hat sich schnell etabliert und auch über den Raum der EmK hinaus viel Anerkennung erhalten. Für Karl-Heinz Baum, Gemeindeglied, Laienprediger und viele Jahre Chorleiter in Friedrichsdorf/Taunus, ist »sein« Gesangbuch eine unendliche Fundgrube. Vor zwei Jahren hat er dafür sogar eine Internetseite eingerichtet, über die er den Reichtum für andere zugänglich macht. Bertram Minor führte anlässlich des Sonntags »Cantate« für www.emk.de ein Interview mit Karl-Heinz Baum, um zu erfahren, warum Singen so bedeutsam ist.

In Ihren Gottesdiensten und auf Ihrer Homepage laden Sie dazu ein, vertraute Lieder neu zu entdecken. Warum ist Ihnen das Gesangbuch so wichtig?

Karl-Heinz Baum: Wer geistliche Lieder singt und musiziert, übt sich in der Sprache des Glaubens. Der Umgang mit dem Gesangbuch lädt ein, sich Lieder zu Freunden und Begleitern im Alltag zu machen.

Wenn vom »Gesangbuch« geredet wird und vom »Singen« die Rede ist, denken wir in der Regel an den Sonntag. Sie reden gleich vom Alltag. Warum?

Karl-Heinz Baum: Das Gesangbuch ist nicht nur für den Gottesdienst oder für die Kirche da. Neben der Bibel ist es die wichtigste Sprachschule des Glaubens. Ein Lied kann wie ein Freund sein. Mit Freunden verbringt man Zeit und begegnet sich gerne. Man geht mit ihnen auch lange Wege. Sie passen sich unserem Rhythmus an, oder bringen uns auch mal aus dem Takt.

Wie viel innere Beteiligung ist zum Singen nötig?

Karl-Heinz Baum: Ich kann ein Lied nur mitsingen, wenn ich innerlich beteiligt bin. Mit der Liedaussage »...sei gelobet der Name des Herrn!« wird ja nicht irgendeiner gelobt, der »da oben« ist und wir sind »unten«. Ein Name wird gelobt, eine Person! Einer, der da ist und sich uns zu erkennen gibt – unser großer Gott, der sich uns liebevoll zuwendet.

Was ist Ihnen als ehemaligem Chorleiter wichtig, wie sollen wir Lieder singen?

Karl-Heinz Baum: Nur mit routiniert oder pathetisch gesungenen Tönen werden wir schwerlich Zugang zu Liedern bekommen. Wenn wir sie fragend, staunend und offen für Neues singen, wird sich ihr Reichtum erschließen. Wichtig ist auch, mit welcher Mimik und welcher inneren Einstellung wir ein »Halleluja« oder ein »Ich singe dir mit Herz und Mund« singen. Wer in einer bedrohten Welt loben kann, nutzt das Lied als Hilfe zum geistlichen Aufbruch oder Widerstand.

Das lehren uns viele der Dichter und Sänger des Glaubens aus dem Dreißigjährigen Krieg oder im Dritten Reich. Welche Lieder sollen heute in der Kirche gesungen werden?

Karl-Heinz Baum: Die vielfältigen Veränderungen in der Kirche und in unserem persönlichen Umfeld rufen nach Antworten und Hilfen. Lieder sollen uns in unserer Situation abholen und anrühren. Zugleich bewahren sie ein reiches Erbe vergangener Erfahrungen. Lieder aus der Reformationszeit, oder von Paul Gerhardt und Charles Wesley sind nicht weitergereichte tote Asche, sondern lebendiges Feuer! Lieder bringen mein Leben zum Klingen – und sie warten auf mich.

Wenn ich das richtig verstehe plädieren Sie dafür, nicht nur immer wieder religiöse Lieblingshits aus alter oder neuerer Zeit zu singen?

Karl-Heinz Baum: Die Lieder unseres Gesangbuchs sind in der weltweiten Christenheit entstanden: Lieder, die von Gottes Hilfe auf unterschiedlichen Lebenswegen singen oder unsere Verantwortung in der Welt bekennen. Auch Lieder, die Frauen ansprechen oder Kinder zum Mitsingen einladen. Und nicht zuletzt Lieder, die Menschen vieler Nationalitäten zu Lobpreis und Anbetung führen. Die Vielfalt der musikalischen Formen vom Kanon über traditionelle Choräle bis hin zu neuen geistlichen Liedern im Swing- und Pop-Stil entspricht der Buntheit unserer Gemeinden. Der Kreativität beim Singen mit Orgel, Posaunenchor, Gitarre oder Band sind im Prinzip keine Grenzen gesetzt. Indem ich diese Lieder mitsinge, werde ich Teil einer Gemeinschaft, die Generationen, Erfahrungswelten, Räume und Zeiten übergreift.

In Ihrer Gemeinde beteiligen sich Gemeindeglieder mit einer persönlichen Liedauswahl am Gottesdienst. Wie laden Sie dazu ein?

Karl-Heinz Baum: Wir haben einen wunderschönen, aus Holz gearbeiteten Notenschlüssel, der seit einigen Jahren von Woche zu Woche unter den Gemeindegliedern weitergegeben wird. Wer ihn erhält, darf sich für den nächsten Gottesdienst ein Lied wünschen. Die Gemeindeglieder animieren sich durch die Weitergabe des Schlüssels also gegenseitig. Es ist wirklich spannend, welche Lieder gewünscht werden und was die einzelnen dazu noch mitteilen. Dadurch teilen wir nicht nur den Lied- und Musikgeschmack in der Gemeinde miteinander. Wir erfahren auch mehr aus dem Leben von Menschen in unserer Mitte. Das ist bereichernd.

Es gibt immer wieder Diskussionen über die Musik und die Texte von Liedern. Was kennzeichnet ein »gutes« Lied?

Karl-Heinz Baum: Der Text eines Liedes soll verständlich und der Erfahrung zugänglich sein. Zugleich soll es zum Fragen und Nachdenken anregen und offen bleiben für das »Du« Gottes. Wenn verständliche Worte gesungen und nicht nur gesprochen werden, klingt durch die Musik zugleich das Unsagbare mit. Viele der ältesten biblischen Texte waren Lieder: Das Lied Mirjams, die Psalmen, die Weihnachtsbotschaft der Engel, der Hymnus im Philipperbrief, die Gesänge in der Offenbarung des Johannes. Kernaussagen der biblischen Botschaft wurden schon immer in Rhythmus und Musik geformt. Interessant ist, dass das in der griechischen Sprache der Bibel für Lobpreis verwendete Wort »Doxa«, sowohl Lehre als auch Lobpreis bedeutet. Beides gehört zusammen!

Welche Empfehlung geben Sie unserem Singen?

Karl-Heinz Baum: Ein Lied braucht Zeit. Wir sollten nicht zu schnell urteilen, sondern Liedern unsere Zeit schenken. Dann entdecken wir Neues. So kann mitten im Alltag des Lebens der Ton der Ewigkeit anklingen. Solch ein Geschenk begleitet uns durch alle Tage – in Trauer, bei Freude und bis ins hohe Alter.

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